Der Tod meiner Mutter ist und bleibt eine gewaltige Zäsur. Ich habe auf einen Schlag erkannt, dass das Leben, so wie ich es bisher gelebt habe, ja gar nicht anders ging. Ich kann auch die emotionalen Verkrüppelungen spüren und ich weiß, dass ich alles richtig gemacht habe – ohne zu wissen, dass alles Richtig ist. Ich bin einfach meinem Innersten gefolgt – habe mich zwar dabei immer unfrei gefühlt, war immer im Widerstand, im permanenten Unfrieden mit mir. Meine Eltern – damit meine ich alle drei – meine Mutter, Vater und Stiefvater – konnten eine Erziehung, die zur Entfaltung meinem ursprünglichen Wesen dienen würde, nicht leisten. Sie konnten es einfach nicht. Fürsorgepflicht hin oder her. Ich habe viele Jahre meines Lebens dazu verbracht, eine Lösung dafür zu finden – im Sinne dass ich frei werde von emotionalen Verkrüppelungen, die aus meiner Erziehung heraus resultierten.
Die Lösung ist aber, dass es da keine Lösung gibt. Es ist unlösbar. Die Möglichkeit der Unlösbarkeit zog ich nie in Betracht. Unlösbarkeit setze ich gleich mit zu früh aufzugeben, der Sache nicht den nötigen Respekt und Aufmerksamkeit zu geben. Für mich galt/gilt immer – in jedem Problem steckt die Lösung und Lösung bedeutet für mich die Auflösung des Problems – d.h. es muss eine Aggregats-Veränderung eintreten.
Das findet bei der Unlösbarkeit jedoch nicht statt. Es kommt zwar zu einer inneren Erkenntnis, das löst aber weder im Außen noch im Inneren die emotionale Verkrüppelung auf. Die stillen Wunden bluten weiterhin. Das passte bis dato nicht in mein Weltbild. Ich habe 44 Jahre akribisch nach der Lösung gesucht, um dann festzustellen, dass die Unlösbarkeit die Lösung ist – und das die Suche damit beendet ist. Es entsteht ein innerer Frieden beim gleichzeitigem weiterbluten der stillen Wunden. Das gilt es auszuhalten – den „stillen blutenden Wunden“ Platz einzuräumen und trotz alledem inneren Frieden zu erfahren.
Dieses Fühlen von inneren Frieden ist identisch mit dem Fühlen von der a-personalen Liebe. Darin findet sich auch das Fühlen von Zuversicht. Die Zuversicht sinkt in die Energie der Versagtheit ein und lässt den Nachhall der stillen Wunden im Raum einfach ausklingen. Ich denke gerade nach, dass es im Grunde niemanden zumutbar ist die Unlösbarkeit von emotionalen Verkrüppelungen zu erfahren und erkennen, um darin den inneren Frieden zu entzünden – und damit in Liebe zu sein. Das sind die schlimmsten Qualen, die man einem bewussten Wesen antun kann und das tut ja auch kein Mensch wirklich freiwillig. Das ist aber die Lösung bzw. der Weg, wie die Polarität überwunden werden kann. Die Unlösbarkeit. Nur so kann der seit ewigen Zeiten laufende Kreislauf – Auge um Auge und Zahn um Zahn – durchbrochen werden. Das Vorhandensein der Gleichzeitigkeit von Unlösbarkeit und inneren Frieden gilt es auszuhalten. Das ist harter Tobak.
Meine individuelle Erfahrung klingt aber auch mit der Erfahrung der menschlichen Erdengeschichte an. Denn all die Taten, die von Menschenhand gemacht worden sind – Kriege, Ungerechtigkeiten usw. – sind aus emotionalen Verkrüppelungen heraus entstanden und haben auch wieder aufs Neue emotionale Verkrüppelung produziert. Was muten wir uns alle da zu?
In jeder Form steckt per se die Unlösbarkeit. Denn aus dem Nichts aus dem Alles entsteht und in dem auch Alles enthalten ist, kann sich immer nur ein Aspekt herausformen – d.h. die Form bzw. der ausgeformte Aspekt muss all die anderen Möglichkeiten ungeformt lassen. Wir können nur einen Aspekt zu Ungunsten all der anderen Möglichkeiten ausformen. Darin ist die Unlösbarkeit begründet. Nur der innewohnende Geist in der Form enthält substanziell all die anderen Aspekte, die formlos geblieben sind. Dann müsste demnach die Unlösbarkeit der Tod sein, den wir hindurch sterben bzw. erfahren müssen, damit wir die All-Liebe in uns bewusst wahrnehmen können. Nur über die Form können wir All-Liebe erfahren. Nur das Erkennen der „innewohnenden Würde“ einer jeden Form lässt die All-Liebe in jedem erwachen und erwachsen.
Und das Wesen der Form ist die Unlösbarkeit. Dann liegt demnach die Erlösung in der Form und nicht in der Nicht-Form. Nein die Erlösung liegt in der Unlösbarkeit der Form und nicht im Formlosen – d.h. die Erlösung im Formlosen zu suchen ist zum Scheitern verurteilt, da dieser Weg aus der Form geradezu und gezwungener Maße herausführt. Ich habe einmal gesagt, „der Sinn des Lebens ist, das sich das Bewusstsein über sich selbst bewusst wird“. Und dazu braucht es die Form.
Das All-Bewusstsein ist Liebe – aber ohne Form ist sie nicht erfahrbar – d.h. die Liebe kann sich selber nicht spüren. Nur über den Weg der Form ist das möglich. Wenn die Form über sich nicht bewusst ist, dann leidet sie unendlich. Beginnt die Form über sich selbst bewusst zu werden, kann sie final nur bei der Unlösbarkeit landen. Wird dieser Aggregatzustand in seiner ganzen Tiefe und Weite gefühlt, ist das Liebe – somit kann die Liebe sich selber erfahren. Und zu dieser Erfahrung ist die Form unerlässlich.
Das Formlose kann sich im Zustand des Formlosen nicht über sich selbst bewusst werden. Diese Erfahrung lässt der Aggregatzustand des Formlosen nicht zu. Denn zu einer Erfahrung braucht es die Zeit – das Charakteristikum des Formlosen ist jedoch die Zeitlosigkeit, also nicht das Fehlen von Zeit, sondern schlicht und einfach das Nichtvorhandensein von Zeit.
Wenn man jedoch nun versucht die Unlösbarkeit der Form über das variieren der Form zu erreichen, dann verliert man sich in den Weiten der Formen. Sondern es gilt die Form als solches auszuhalten, ohne sie zu verändern, bis man das gesamte Ausmaß der Form im Äußeren und im Innersten – „die innewohnende Würde“ – freier Geist – sieht und herausfühlt damit sich folgend das Erkenntnis-Erlebnis der Unlösbarkeit der Form fühlend einstellen kann.