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P A X

eine Hommage an die Essentia Humanitas


Präambel
Der große Friede ist etwas wesensmäßig anderes als der Nichtkrieg. Auf einem frühen Wandbild im Stadthaus von Siena sind die bürgerlichen Tugenden versammelt. Würdig und würdebewußt sitzen die Frauen da, bis auf eine in ihrer Mitte, die sie alle überragt, nicht Würde mehr, sondern gelassene Majestät: drei Lettern melden ihren Namen: PAX. Das ist der große Friede, den ich meine. Sein Name bedeutet nicht, dass es ein Etwas, das man Krieg nannte, nicht mehr gibt, seit er waltet - das ist viel zu wenig, als dass man daraus eine Serenität verstehen könnte; er bedeutet, dass es nun etwas gibt, wirklich gibt, was größer und mächtiger ist als der Krieg. In den Krieg gehen die menschlichen Leidenschaften ein wie die Wasser ins Meer, und er schaltet mit ihnen, aber in den Großen Frieden müssten sie eingehen wie die Erze ins Feuer, dass es sie schmelze und verwandle, und nun würden die Menschenvölker in gewaltigerer Leidenschaft miteinander bauen, als sie je gegeneinander gefochten haben. 

Der sienesische Maler Ambrogio Lorenzetti hat die hohe PAX nur in seinem Traum gesehen. Aus der geschichtlichen Wirklichkeit kannte er sie nicht, denn da ist sie noch niemals erschienen. Was man in der Geschichte Frieden nennt, ist ja nie etwas anderes gewesen als eine - angstvolle oder illusionsselige - Pause zwischen zwei Kriegen. Der weibliche Genius aber, den Lorenzetti in seinem Traume sah, ist eine Herrin nicht der Unterbrechungen, sondern der neuen, der größeren Taten. 
Dürfen wir denn nun Hoffnung hegen, dass der aller bisherigen Geschichte unbekannt gebliebene Antlitz diesem unserm Spätgeschlecht erstrahle, das unrettbar dem Unheil verfallen scheint? Haben wir uns doch gewöhnt, den Weltzustand, in dem wir seit dem Ende des Zweiten Weltkriegs leben, nicht einmal mehr als Frieden, sondern als die „kalte“ Phase des in Permanenz erklärten Weltkriegs zu bezeichnen! Ist es nicht Schwärmerei, aus einem Zustand, der auch den Schein des Friedens nicht mehr zu wahren sucht, von dem nie gewesenen Großen Frieden als von etwas Erreichbarem zu reden? 
Es ist gerade die Tiefe der Krisis, die uns so zu hoffen erlaubt. Das ist nicht eine der geschichtlich vertrauten Erkrankungen des Völkerlebens, aus denen es sich zu einer gemächlichen Genesung wenden mag. Urkräfte sind aufgerufen, an der einmaligen Entscheidung, die es gilt, der zwischen Verderben und Wiedergeburt, wirkend teilzunehmen. Es ist ja nicht der Krieg, durch den diese Krisis hervorgebracht worden ist, sondern sie, die Krisis des Menschen, ist es, die diesen totalen Krieg und den auf ihn folgenden nichtigen Frieden hervorgebracht hat. 

Auszug aus der Dankesrede „das echte Gespräch und die Möglichkeit des Friedens“ gehalten von Martin Buber anlässlich der Verleihung des Friedenspreis des deutschen Buchhandels von 1953 an ihn 


Die „hohe PAX“ ist die Basis der menschlichen Beziehungsstruktur oder 

. . . PAX ist mehr als durch Gerechtigkeit erzielte Eintracht 

Idealerweise ist sie ein direktes Werk der Liebe - das wussten schon die Griechen in der Antike, dass die Liebe die gestaltende Kraft des Läuterungsprozess im Diesseits ist und so die PAX in aller Menschenherzen entzündet. Gegründet auf diesen Gedanken steht die individuelle Läuterung des Menschen im dem Ballett „PAX“ im Zentrum des Geschehen. Das Werk stellt so eine Synthese von Mikro- und Makrokosmos her, in dem das philosophische antike Bildungsgut sich mit den schwer verständlichen Erkenntnissen der Quanten-Physik unseres Jahrhunderts inhaltlich spiegelt. Die Integration des antiken Bildungsguts und die aktuellen Erkenntnisse der Quantenphysik in die Gegenwart des gelebten Leben eines jeden Menschen, stellt diesen von jeher vor ungeahnte Herausforderungen. Sich der Quantenphysik anzunähern bedeutet meistens auch ab einem gewissen Punkt mit den antiken griechischen Philosophen in Berührung zu kommen, mit jenen, die auch in die europäische Philosophie hinein- und fortgewirkt haben. Quantenphysiker Prof. Hans-Peter Dürr prägte für diesen geistigen Konflikt das Begriffspaar „Verfügungswissen und Orientierungswissen“ - mit diesen Begriffen lässt sich dieser Geistes-Spagat am trefflichsten beschreiben. 

Martin Buber gab in seiner Dankesrede von 1953 dem Freskenzyklus von Ambrogio Lorenzetti, der sich im Sala della Pace im Palzzo Popolo in Siena seit 1338 befindet, eine zentrale Bedeutung. Lorenzetti setzte in seinem Fresko die Essenz der göttlichen Komödie von Dante, welche Dante erst kurz vor seinem Tode 1321 im Exil fertigstellen konnte, malerisch in Szene. 
Dante sah sich als geistiger Schüler von Aristoteles. Glück definiert er auch wie Aristoteles als „tugendmäßige Tätigkeit der Seele ein Leben lang“. Dante zeigte auf, dass der Mensch durch Agape, also der absoluten Liebe, die von den griechischen Philosophen als das höchste Gut und die Urkraft der menschlichen Läuterung gesehen wurde, ein tugendhaftes Leben führen kann und darin seine individuelle Glückseligkeit erlebt, selbst wenn die politischen Rahmenbedingungen diese Entsprechung nicht zulassen würden. Das bedeutet wiederum, das jeder Mensch unabhängig von den Rahmenbedingungen im Außen mit sich in Frieden sein kann. 
Dieser Gedanke spiegelt sich auch in einer der Kernaussagen der Quanten-Physik wider - „Information und subjektives Bewusstsein steuern Materie“ - oder in Kurzform „Geist zeugt Realität“. Jedoch als non plus ultra sah Dante den Mensch in der Gemeinschaft, in der er sich mittels der Tugenden als zoon politikon vervollkommnen kann. 
Die „Verbrüderung“, die Lorenzetti für die Verwirklichung des Triptychon zum Gesamtkunstwerk mit Dante „im Geiste“ vollzog, lässt den Logos - die causa prima - ein allgemein zugängliches Wissen, das der Seele eigen ist - die eine innere erweckende Kraft allen Bewusstseins als höchsten Inhalt in sich trägt - als die Urkraft des antiken Tugendideals in seinem Fresko wahrlich förmlich erahnen. Jene Urkraft die jeder Mensch in sich beherbergt und als Hilfe für die Entwicklung des Einzelnen und der ganzen Menschheit dient. 
Lorenzetti war als innovativer und origineller Geist seiner Zeit bekannt, der sich nicht scheute Unbekanntes anzugehen bzw. herkömmliches neu zu gestalten. Nicht Unschuld und Lieblichkeit herrschen bei seinen Darstellungen des Weiblichen vor, sondern Reife und Monumentalität. Seine Marien sind starke Frauen, die das Leid des Kindes erahnen und dies auch zu tragen wissen. Die hohe PAX mit ihrer strahlenden Schönheit spiegelt das irdische Glück in konzentrierter Form und versetzt den Sala della Pace in eine Stimmung des menschlichen Aufbruchs - ein Ort der dem Menschen zur Entwicklung seiner Glückseligkeit aus freiem Willen heraus eine Inspiration sein kann. 


Das Ballett „PAX“ wird musikalisch von den ersten beiden Sätzen der 7. Sinfonie von Anton Bruckner getragen. Bruckners Musik lebt ganz im Klang, in dem sie sich naturhaft völlig hingibt - er lässt sie wachsen - ja sie strebt förmlich über den Klang hinaus - sie nährt sich aus der Kraft des Geistes und hat etwas elementar Überwältigendes. Die Musik dieser beiden Sätze verfügt über jene Weisheit und geistige Kraft, um frei von Verzerrungen den bindenden Bogen von der Antike in das 21. Jahrhundert zu schlagen. Im Allegro moderato - dem ersten Satz seiner 7. Sinfonie, erwacht der Mensch, der sich gefangen in den eigenen Ketten seiner Selbstentfremdung vorfindet, aus seinem Dämmerschlaf. Im gesamten Verlauf dieses Satzes begibt er sich über den Weg der Tugenden seinem individuellen Läuterungsprozess hin, mit dem Ziel sich seiner Ketten zu entledigen. Schließlich und endlich findet er dann im 2. Satz, dem Adagio mit der Bezeichnung „Sehr feierlich und sehr langsam“, den Zugang zur der hohen PAX, die in Wirklichkeit der Ausdruck seiner eigenen Seele ist. Und zum aller ersten Mal seines irdischen Daseins blickt er ungläubig scheu in ihr Antlitz. Der Mensch erkennt in ihrem Antlitz ein Etwas, ein undefinierbares Etwas, was er jetzt gefunden hat, ohne jedoch gewusst zu haben es jemals gesucht zu haben. 
Seine langsamen Sätze geleiten Anton Bruckner in mystischer Versenkung - dort wo er sich mit seiner geistigen Heimat verbunden fühlt. Die Harmonie des Dreiklangs ist für ihn wie ein mütterlicher Schoß, aus dem alles motivische Leben entwächst - die Harmonie erbaut sich wie eine Kathedrale portalhaft-räumlich in den Klangäther hinein, in dem der Mensch über sich selbst hinauswachsen kann. 
Der Dreiklang des „Te Deum-Themas“ - „Non confundar in aeternum“ - dominiert das Adagio über weite Strecken. Begleitet von den Tugenden, durchwebt das gegenseitige Werben des Menschen mit der hohen PAX diese Sequenz. Mit jedem weiteren Mal des anschwellenden Neuerklingen des Te Deum-Themas, intensiviert sich die Annäherung von Mensch und PAX. Im Takt 176 des Adagios findet der wohltönende C-Dur-Dreiklang im scharfen Forte-Fortissimo, das sich nochmals durch einen Beckenschlag verstärkt, seinen musikalischen Kulminationspunkt. In diesem Höhepunkt der Lobpreisung fallen beim Menschen die Ketten seiner Selbstentfremdung wie welkes Laub von seinem Leib herab. Die PAX überstrahlt im ewigen Glücke. Als freier Mensch ist er nun zum Akt der Vermählung mit der hohen PAX bereit. Diese Vermählung ist das Siegel, welches den Beginn des Ewigen Friedens auf Erden bekundet.

Der amerikanische Komponist Morten Lauridsen komponierte 1994 den Chorsatz „O Magnum Mysterium“. 
Dieser Vokalsatz verschmilzt mit dem mystischen Tanz des ewigen Friedens des Brautpaares zu einer Einheit und führt den Tanz zu seinem Schlusspunkt in die Stille.
evokation peter-boehner